Freitag, 17. Oktober 2008
Der Kreuzug des neuen Jahrtausends
Irgendwas war anderes heute morgen. Statt der üblichen 45 minuten dauerte es heute nur zwanzig zum Büro? Passe ich mich allmählich an? Haben wir ein Wurmloch durchfahren? Die Antwort liegt so viel näher! Heute streiken alle Taxi- und Rikschafahrer. Wofür oder wogegen ist nicht ganz sicher. Die Regierung will alle fahrzeuge die älte als 25 sind aus dem Verkehr ziehen. Vielleicht war das der Grund. Also ob das die Lösung für mehr Verkehrsfluss sei. Oder vertue ich mich da? Ist der Indische Staat plötzlich auf das wohl seiner Bürger bedacht? Warum sorgt er dann nicht erst mal für die, die sich nichtmal die Fahrt in einer Riksha leisten können. Zum Verlgeich: die Fahrt in einer Motorrikscha vom Büro zu Hypercity (einer von 8 Grosssupermärkten in Mumbai!) dauert fünf Minuten und kostet ca 12 Rupies. Oder 12 cent. Nehme ich mir in Köln ein Taxi stehen auf dem Taxameter schon 2 Euro fuffzig bevor ich überhaupt eingestiegen bin. Aber wenigsten spricht der Kölner Taxifahrer genauso wenig meine Sprache wie unser indischer Rikshafahrer.

Der Streik war auch abends noch immer nicht vorbei. Ruhiger war es durch den Streik aber nicht geworden. Gehupt wurde immer noch unentwegt. Vielleicht kommuniziert der Inder ja so?. Huup- Huuuup – Hallo an alle!; Huuuuup- hup-hup – Selber Hallo, huphuphuphup – du kannst mich mal an der Hupe hupen. Was verblüfft: alle Fahrzeuge bahnen sich irgendwie ihren Weg. Zwei Riksha sind so breit wie eine Fahrspur, acht Rikshas blockieren eine Schnellstrasse, weil sie kreuz und quer fahren passen durchaus auch 14 Rikschen auf die Fahrbahn. Ausser im Streik. Dann stehen alle Rikschen ordentlich nebeneinander aufgereiht und ausgerichtet am Strassenrand. Zwischen all dem Chaos ist immer noch genug Platz für Motorradfahre, noch mehr Riskscen und Fussgänger, denn mehr als 40 kmH fährt hier selten einer. Überquert man die Strasse locker bei (zäh)fliessendem Verkehr. Vehikel überholen sich von rechts, von links, man holt auf, um sich dann doch wieder zurückfallen zu lassen, nutzt jede sich auftuende lücke zum vorwärts kommen, auch wenn die Lücke in die linksabbieger spur führt, man selber aber rechts abbiegen will. Haben die anderen halt Pech gehabt. Ich will da jetzt lang.

Die Krönung sind die Strassenkreuzungen. Wobei ich immer den Eindruck habe, es handele sich eher um einen Kreuzzug. Die Ampeln stehen ewig auf rot. Ungeduldig starrt alles auf den Farbenwechsel, motoren heulen auf, wie bei F1 kurz vorm Start. Hochkonzentriert umklammert ein jeder sein Lenkrad, bis die Knöchel weiss hervortreten. Einig Motorräder manövrieren sich durch engste spalten ohne dass der Lack schaden nimmt. Bei uns wäre man doch längst ausgestiegen, um sich den Drängler vom Sitz zu holen. Zwischen den Fahrzeugen blüht der fliegende Einzelhandel. Verkäufer versuchen Putzlappen, Staubwedel, Handyadapter fürs Auto und Basketbälle (wozu in aller Welt soll ich im Auto einen Basketball besitzen) zu verhökern während sie die Auspuffdämpfe inhalieren. Wahrscheinlich gehen deshalb so gelassen mit der Tatsache um, dass sie einen der Gefährlichsten Arbeitsplätze überhaupt haben. Sie sind stets zugedröhnt. Übrigens hat die Regierung das Rauchen in der Öffentlichkeit strikt verbannt. Man darf sogar nicht mal mehr auf der Strasse rauchen. Dabei reicht ein Blick in den Himmel um festzustellen, dass die normale Atemluft in Mumbai weit mehr Schadstoffe enthält als zehn Stangen Tabak aufeinmal geraucht.

Wir waren gerade an der Kreuzung, an der noch immer die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Plötzlich springt die Ampel um. noch bevor die Blechlawine sich vorwärts quält, startet ein irrsinniges Hupkonzert. Gerade so, als wolle man der Göttin der Ampelphasen seine Dankbarkeit erweisen und sie daher hup-preisen. Unsere Göttin ist aber äusserst gierig, nie ist sie zufrieden, ausserdem ist extrem schlecht drauf, weshalb sie auch schon nach 3 minuten beleidigt wieder auf rot umspringt. Dies stört aber keinen. Es wird munter weitergefahren. Sollen doch die anderen aufpassen. Langsam ebbt dann aber doch der Strom der Schnell-noch-mit-drüber-woller ab. Ein paar nachzügler schummeln sich noch vorbei am bereits aufheulenden Verkehr der kreuzenden Fahrbahn. Was der kann kann ich auch, und so setzt erst der eine, dann der zweite nach und schon fliesst der Verkehr wieder. Nur leider immer noch auf der Strasse, die schon seit einer Ewigkeit rot sieht.

Wer am Strassenverkehr Mumbais teilnimmt, benötigt nerven aus Stahl. Und eine Engelsgeduld. Auf dem Heimweg heulte hinter uns ein Krankenwagen auf. Man macht wie üblich platz – um sich direkt hinter den Wagen zu klemmen und hinterherzujagen. Jeder Vorsprung ein Triumpf gegenüber den anderen. Jede Minute früher zu Hause und aus diesem Wahnsinn zählt. Irgendwann hängt uns der Krankentransport dann doch ab. (wer wohl drin lag? Hatte Big B einen Rückfall? Morgen in der Zeitung erfahre ich es) Nach gut zwanzig Minuten treffen wir uns wieder. Ich bin inzwischen kurz vor meinem Ziel, der Krankenwagen eilt noch immer mit Blaulicht über die Schnellstrasse - ein sehr Paradoxer Begriff für Indien, wie ich festelle. Wäre der Verletzte man bloss mit uns gefahren…

Während alledem beobachte ich einen Jungen der gelassen auf seinem Fahrrad ohne Beleuchtung -es war inzwischen dunkel geworden, so dunkel dass man den Inder oft kaum noch vom Nachthimmel unterscheiden kann, wenn er nicht so strahlend weisse Zähne hätte. wieauchimmer. Der Junge radelte gelassen am Rand der Schnellstrasse, auf der sich in Zehn spuren tausende Autos gegenseitig überholten und schnitten und immer wieder auf den Standstreifen ausscherten, indessen der Junge freihändig radelnd den Verkehr im Auge behielt. Unsereins bekommt schon einen Herzinfarkt bei der Meldung „auf der A3 befinden sich Personen auf der Fahrbahn“. Spielende Kinder würden einen Stau von Flensburg bis nach Oberammergau verursachen.

Der indische Weltkonzern Tata will in den nächsten Jahren ein 2.000 Dollar Auto auf den Indischen Markt bringen. Indiens Mittelstand verdient jährlich mehr, und für den Preis kann sich jeder ein Tatamobil leisten. Leider. Nicht auszudenken wie es dann erst auf den Strassen zugehen wird. Hoffentlich wird das Modell ohne Hupe produziert. Wenn ich zurück in Köln bin stelle ich mich zur Rushhour auf die Zoobrücke und dann heisst für mich nur noch: Enjoy the Silence!!!

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Hi Sven!
Sehr schön, dass du wieder einen Blog machst!
Bei den Verkehrsschilderungen sehe ich mich nach Vietnam zurückversetzt - auch ich habe gedacht "zu Hause erstmal schön einen Kaffee an der Inneren Kanalstraße trinken"... An den ersten zwei Tagen bin ich mehrfach fast getötet worden, weil ich großspurig verkündet habe "Das ist wie in Paris - man muss nur losgehen und nicht gucken, dann bremsen die." In Saigon erzählte man uns, dass noch vor wenigen Jahren niemand auf Krankenwagensirenen gehört hat, weil das für die Leute halt irgendwie auch nur ein Typ mit ner Angeberhupe war. Deswegen hat der Beifahrer im Krankenwagen immer lauthals rausgebrüllt, dass man ein Krankenwagen sei und "Gefahr" und "müssendurchhier" und "hierisherzinfarktausmwegduarsch", sich dabei aus dem Fenster lehnte und den störrischen Vespafahrern erstmal eins auf die Schnauze gehauen hat.
Viele Grüße,
habe letztens übrigens eine Sendung über Essen in Delhi gesehen: Spezialität seien Lammhoden. Würd mich interessieren, ob du schon Diarrhoe von Kinderpenissen bekommen hast.

Steffen

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